
Jucker-Saga 16: Jetzt ist Sparen angesagt
«Schwierig… aber natürlich nicht hoffnungslos», beschreibt Martin die Situation, in der sich die Jucker-Brüder Anfang 2001 befanden. Es musste dringend neues Kapital her. «Egal in welcher Form, Hauptsache Cash».
Geld fällt aber bekanntlich nicht vom Himmel. Beats und Martins erster Gedanke: Venture Capital. Mit ihrem unbeabsichtigten Eintritt in die Jungunternehmerszene, hatten sie bereits einige Kontakte zu VC-Gesellschaften. Diese machten ihnen zwar Komplimente für das bereits Erreichte, wollten aber wegen Mangel an landwirtschaftlichem Fachwissen nicht investieren.
Als nächstes klapperten die Brüder ihr Business-Umfeld ab. «Da gab es diverse Lieferanten mit vermögenden Personen an der Spitze», erinnert sich Martin. «In kürzester Zeit lernten sie alle unseren Businessplan kennen.» Das Platzen der Dotcom-Blase hatte den potenziellen Investoren jedoch jegliche Risikolust genommen. Die allgemeine Situation am Kapitalmarkt war schlecht – sehr schlecht.
«Die Bank wollte nur über den Weg und Zeitpunkt für die Konkursanmeldung reden.»
Beat Jucker
Die nächste Idee kam den beiden am Kiosk. Vom Cover der «Bilanz» prangte ihnen der vielversprechende Titel «Die 300 reichsten Schweizer» entgegen. Eine Woche nach ihrem Kiosk-Fund hatten Martin und Beat mit fast allen dieser vermögenden Schweizer persönlich geplaudert. Denn die zwei liessen nicht locker und telefonierten sich tagelang von früh morgens bis spät abends quer durch die Schweiz. Zwar wurden ihnen viele Beteiligungen zugesprochen – für den Fall, dass sie die Finanzierung zusammenkriegen – die Beträge waren aber viel zu klein. Noch immer waren die Jucker-Brüder mehrere Millionen Franken von ihrem Ziel entfernt.
Sieg feiern am Abend, Schadenbegrenzung am Morgen
Würde man für Optimismus bezahlt, hätten Beat und Martin mehr als genug Kapital gehabt. Trotz ihrer verzwickten Lage bewarben sie sich in diesem Jahr für die Marketing Trophy – und gewannen! Am Abend nahmen sie voller Stolz die Trophäe entgegen. Am nächsten Morgen trafen sie sich mit dem Recovery Manager der Bank – Abteilung für hoffnungslose Fälle und Schadenbegrenzung. «Eine Lösung haben wir nicht gefunden. Die Bank wollte nur über den Weg und Zeitpunkt für die Konkursanmeldung reden», erzählt Beat.
«So eine Sauerei in nur einem Jahr angerichtet, habe ich in meinem Leben noch nie gesehen.»
Kurt Pfister, Onkel von Walter Pfister
Neue Hoffnung kam in Form vom damaligen Jucker-Farmart-Aktionär und Freund der Jucker-Brüder Walter Pfister, respektive dessen Onkel. Kurt Pfister kam als frischer Pensionär von den obersten Rängen der Migros und bekam kurzerhand den Businessplan zugeschickt. Martin beschreibt das erste Treffen mit Walters Onkel so: «Er hat uns tief in die Augen geschaut und mit seiner charismatischen und durchdringenden Art gesagt: ‹So eine Sauerei in nur einem Jahr angerichtet, habe ich in meinem Leben noch nie gesehen›».
Geld gab’s von Kurt Pfister also keines. Aber er sah noch Hoffnung in der «Sauerei» und übernahm kurzerhand die Verantwortung für die Sanierung der Jucker-Farmart-Firmen. Die Bank war einverstanden. Es konnte weitergehen.
Mindestlohn für die Chefs
Ende gut, alles gut? So einfach war es dann doch nicht. Die Jucker-Brüder mussten massiv zurückrudern. Keine weitere Expansion, Abbau von Personal sowie die im gleichen Rahmen wie die Inhaber beteiligte Bank zählten zu den Eckpunkten des Sanierungsplans. Die Geschäftsführung übernahm fortan ein externer CEO. Weil sich der zwar mit Sanierungen, aber nicht mit Landwirtschaft auskannte, durften Beat und Martin im Unternehmen bleiben – in mittleren Kaderpositionen mit minimalem Lohn. Beat war Leiter Verkauf Lizenzen und sollte das Deutschland Geschäft verantworten, Martin Leiter Marketing und Verkauf Schweiz.
2001 war also erst einmal Schluss mit gewagten Ideen und neuen Experimenten. Alles, was in diesem Jahr in der Firma passierte, hatten die Jucker-Brüder schon einmal gemacht. «Das hat uns vor allem auf der Kostenseite enorme Vorteile gebracht», sagt Martin. Beat und sein Team veranstalteten die Kürbisausstellung in Ludwigsburg ohne Verluste. Martin verhandelte indes über neue Detailhandelspreise in der Schweiz. Im Vorjahr wurde klar, dass eine Preiserhöhung von 30-40% für die Kürbisse nötig war. «Dass diese Verhandlungen nicht einfach waren, ist klar, aber mit Coop hatten wir definitiv einen fairen Partner und wir haben eine Lösung gefunden.» Ausserdem wurden viele Kochbücher – Es waren ja noch rund 90'000 an Lager – und Kürbisschnitzsets – ebenfalls noch in Hülle und Fülle vorhanden – abverkauft.
Jucker Farmart auf Sparflamme
Wegen den Sanierungsmassnahmen veränderte sich die Firmenkultur. Wer nur auf Abenteuer aus war, hatte schnell keine Lust mehr und der Personalbestand verkleinerte sich. Statt sich wie bisher durch die Biografie von Virgin-Gründer Richard Branson inspirieren zu lassen, vertieften sich Beat und Martin in das Buch über die Albrecht-Brüder, die 1962 den ersten Aldi eröffnet hatten. Beat sieht in der Situation auch Positives: «Wir haben aber auch unsere bäuerlichen Wurzeln wiederentdeckt und unsere Fähigkeiten, mit Nichts etwas zu machen, wiederbelebt.»
Die neuen Massnahmen zeigten Wirkung: Ende 2001 war der Jahresverlust enorm viel kleiner als im Vorjahr. Durch die Lagerverkäufe war die Jucker Farmart in der Lage, die Kreditzinsen zu zahlen und sogar kleine Amortisationen zu leisten. Trotzdem war klar: Auf diesem Weg wird die Firma nie gesund. Es muss noch ein Gang zugelegt werden.
Bisherige Teile der Jucker-Saga:
Teil 1 – Frühes Familiendrama
Teil 2 – Hilfe von aussen zu einem hohen Preis
Teil 3 – Das schwierige Leben zwischen den Weltkriegen
Teil 4 – Blühendes Familienleben
Teil 5 – Turbulente Jahre und ein volles Haus
Teil 6 – Der Jucker hat schon immer gesponnen
Teil 7 – Abschied von Hermann
Teil 8 – Umbau und die junge Elsbeth
Teil 9 – Ueli übernimmt
Teil 10 – Die Lehrjahre von Beat und Martin Jucker
Teil 11 – Die erste Kürbisausstellung «aus Versehen»
Teil 12 - Die erste «richtige» Kürbisausstellung
Teil 13 - Sensationen nahe des Irrsinns
Teil 14 - Die Gründung der Jucker Farmart AG
Teil 15 - Der Crash
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