Zu Jucker Farm
von Valérie

Jucker-Saga 15: Der Crash

Vor den Jucker-Brüdern lagen also ein voller Sommer und Herbst mit grossen Projekten.

Als erstes stand die Einführung der Rafzerfelder Melonen in den nationalen Detailhandel an. Ein Werbebudget von mehreren zehntausend Franken stand zur Verfügung, die Nachfrage auf Kundenseite war da, die Detailhändler haben Platz geschaffen, die Werbung lief.

Doch dann wollte es auf dem Feld nicht so recht. Der kühle Sommer hatte den Charentais-Melonen arg zugesetzt, vom Feld kam fast nichts. Das Resultat war: Viel Aufwand, enttäuschte Kunden und ein enormes Defizit.

«Die Rafzerfelder Melonen waren so schnell gescheitert, wie sie geboren worden waren.»

Die nächsten Jahre sollten sich als eine endlose On-Off-Beziehung zum Melonenanbau entpuppen.

Das erste der 13 Grossprojekte ist also schonmal in die Hose. Und der Rest?

Nicht wie daheim in der Schweiz

Die Umsetzung der Kürbisausstellung im Deutschen Ludwigsburg brachte ein Déjà-vu. Mit dem feinen Unterschied, dass die Juckerbrüder mit ihrer Idee nicht nur belächelt, sondern regelrecht ausgelacht wurden.

Auch in Ludwigsburg konnte sich niemand vorstellen, dass eine Ausstellung dieser Grösse, ausschliesslich mit Kürbissen funktionieren würde. Wieder fehlte es an Personal und Kooperationspartnern.

Trotzdem fuhr Beat Jucker, zusammen mit dem ehemaligen Juckerhof-Obstbaulehrling Roland Meuter und dem Gemüsebauern Peter Gerber nach Ludwigsburg, um die Ausstellung aufzubauen. Das Gefühl war ernüchternd. Plötzlich war alles anders. Weg von zu Hause, weg von der Schweiz, als Veranstaltungsort kein Bauernhof, etc.: «Wir wussten nichts vor Ort, hatten keine Kenntnisse über die rechtlichen Rahmenbedingungen, keine Infrastruktur und niemanden, den wir kannten», erzählt Beat von der Situation.

Neue Allianzen zur Rettung

Jens Eisenmann (der damalige Obstbaupraktikant und künftiger Kürbisproduzent der Kürbisausstellung Ludwigsburg) und Volker Kugel (der Blüba-Direktor) waren die zwei wichtigsten Anlaufstellen vor Ort.

Parallel zur Vorbereitung von Ludwigsburg wurden die ersten Weichen gestellt für den Deutschen Detailhandel. Mit dieser Aufgabe wurde Martin betraut. Weil in Düsseldorf das europäische Blumen- und Pflanzenzentrum beheimatet war, war Martin Jucker in dieser Zeit mehrmals im Raum Düsseldorf unterwegs, um Allianzen zu schmieden. Die Hoffnung war, dessen Ressourcen für die Kürbislogistik nutzen zu können.

Nach anfänglichem Bangen kamen Sie auch in Ludwigsburg...

in Scharen!

Eine dieser Bekanntschaften war jene mit Ferdinand Schiplack von des EPS (dem Euroregionalen Pflanzenservicecenter. Dieser hat sofort Feuer gefangen für die Kürbisse und die Ideen der unerfahrenen Brüder aus der Schweiz und hat ihnen viele Türen geöffnet. Diese neu erworbenen Kontakte boten Lösungen für die Probleme in Ludwigsburg.

Irgendwie haben’s die Juckerbrüder dann eben doch wieder hingekriegt:

«Die Eröffnung der Kürbisausstellung in Ludwigsburg verlief super und es gab ein grosses Medienecho.»

Dementsprechend kamen viele Besucher und es stellten sich auch hier die bekannte positiven Nachfragedynamik aus der Schweiz ein. Plötzlich wollte doch wieder jeder dabei sein…

Liebe auf den ersten Blick beim Detailhandel

Für den Detailhandel in der Schweiz haben sich die Brüder etwas Besonderes einfallen lassen. Sie wollten schliesslich nicht einfach nur Kürbisse liefern, sondern die Detailhändler gleich auch noch Kürbisausstellungs-Kunden gewinnen. Dazu haben sie drei Grössen von Kürbisausstellungen entwickelt, welche als Komplettpaket an Einkaufscenter und Grossverteiler ausgeliefert werden sollten.

Eine Idee, die auf fruchtbaren Boden fiel. Coop nahm das Projekt gerne und auch gleich national auf. Die Kürbis-Euphorie griff um sich. Für die junge Jucker Farmart AG war alles neu, für Coop fast alles. Dementsprechend war niemand da, der wusste, wie sowas geht. Die Anbauplanung im Frühling 2000 musste rein auf Grund von einem Bauchgefühl gemacht werden.

Logistische Mammutaufgabe

Da eine solche kleine Ausstellung aus diversen Elementen bestand – von Speise- über Zierkürbissen, Kochbüchern, Schnitzsets und Kürbiskernen - waren von Coop mehrere verschiedene Categories involviert. Zudem waren damals noch alle 14 Genossenschaften von Coop teilautonom. Das heisst, ein Meeting am Hauptsitz involvierte nicht selten 15-20 Personen. Wenn dann alles geklärt war, mussten die Brüder das alles nochmals je 14-mal mit den jeweiligen Genossenschaften besprechen.

In der jungen Jucker Farmart AG merkte man schnell, dass man keine Ahnung von Logistik für Grossverteiler hatte. Mit Daniel Schöni von der Sauerkrautfabrik in Hinwil (bei der schon Jucker’s Grossvater Lieferant gewesen war) fand man dann doch noch einen Partner, der das mit der Logistik bewerkstelligen konnte.

Was es heisst, innerhalb von wenigen Tagen die ganze Schweiz mit Kürbissen zu beliefern, das wissen die Juckers heute. «Damals war es ein hartes Erwachen...

...Während wir schon mit der Ernte, dem Waschen und Sortieren der angebauten Kürbisse völlig am Limit liefen, stellte sich kurz vor Auslieferung heraus, dass die provisorische Logistik viel zu klein war und viel zu wenig Manpower hatte...

Martin Jucker über die logistische Herausforderung

...um die vorgesehene Menge zu bewältigen. Walter Nägeli hat dann das Thema Schlafen für ein paar Tage aufgeschoben und uns so die Kohlen aus dem Feuer geholt. Er hat zu jener Zeit quasi im Lager gewohnt», erzählt Martin.

Aber auch hier: Schlussendlich hat man sich irgendwie durchgewurschtelt. Kaum war die Auslieferung durch, mussten auch schon die Kürbisausstellungen in den vier angeworbenen Einkaufscentern aufgebaut werden. Auch das ging irgendwie über die Bühne.

Die erste Europameisterschaft

Danach führten die Juckers die erste Europameisterschaft im Kürbiswiegen durch. «Wir haben gemerkt, dass es viel zu teuer ist, den Riesenkürbis aus den USA einreisen zu lassen, wie es im Jahr davor geschehen war. Wir brauchten einheimische Riesenkürbisse», erzählt Martin Jucker. Die Firmen Model Group und Smart waren die Hauptsponsoren des Anlasses. Der erste europäische Siegerkürbis wog 198 kg. Der aktuelle Europarekord liegt fast 10x höher. Am gleichen Tag durften die Jucker-Brüder auch noch den goldenen Ideen Oskar der Idee Suisse für die Erfindung der Kürbisausstellung entgegennehmen.

Im Deutschen Detailhandel verlief es etwas harzig. Zwar fand man schnell Produzenten, Vertriebs- und Logistikpartner - aber mit den Kunden war das etwas schwieriger. Wir mussten darauf vertrauen, dass die Medienpräsenz der Kürbisausstellung Ludwigsburg auch die Nachfrage im Deutschen Detailhandel schaffen würde. Und so kam es auch. Durch einen glücklichen Zufall hatte Obi Wind bekommen von dem Kürbisrummel in Ludwigsburg. Den wollte man bei Obi auch. Und so wurden die jungen Juckers von Obi angefragt, ob man den Baumarkt mit Kürbissen beliefern könne. Innert 10 Tagen wurden rund 200 Obi-Baumärkte mit kleinen Kürbisausstellungen bestückt und durch die plötzliche Multiplikation der Vertriebsstellen waren die Kürbisse beinahe alle ausverkauft.

Party-Gigantismus

Als nächster Programmpunkt stand das European Halloween Festival in der ABB Halle Oerlikon an. Das Ausgabenbudget für diesen Abend überstieg 1 Mio. CHF. Die Jungunternehmer von MB Production und Jucker Halloween wollten (auch hier) neue Massstäbe setzen und ein Halloweenfestival auf die Beine stellen, wie es die Welt noch nie gesehen hatte. Das Zeitfenster für den Aufbau dieses Mega-Events war allerdings sehr kurz.

«Auch hier: Logistik war nicht unsere Stärke. Kaum waren wir vor Ort, war der Verkehr in Oerlikon schon lahmgelegt…

Mehr als ein Dutzend LKWs sollten gleichzeitig anliefern. Die Polizei fand es weniger berauschend. Allerdings kamen wir dank dem «Jugendbonus» mit einer Ermahnung davon», grinst Martin Jucker.

Schlussendlich war man dann aber ready: 12`000 Partygänger kamen und konnten die 7 Dancefloors geniessen. Die 25 angesagtesten DJs der Zeit waren vor Ort und als Stargast war Candy Dulfer verpflichtet. Das Ziel war also erreicht.

Vor der Türe demonstrierten hingegen religiöse Kreise gegen den Anlass. Für die Jucker-Brüder auch eine neue Situation. Ihnen wäre nicht in den Sinn gekommen, was an so einer Halloweenparty Falsches dran sein sollte. «Wir haben sie spontan eingeladen, ihre Botschaft direkt im Inneren anzubringen, an der Wärme - dort wo die Leute waren. Das wollten sie dann aber nicht», schmunzelt Jucker.

Der gut besuchte Spiderweb-Floor der Halloweenparty 2000

So hatte das in der Vorbereitung ausgesehen...

Das bescheidene Zeitungsinserat 😉

...und der bescheiden gebrandete Smart.

Viel verdient, viel ausgegeben

Die Party war abgehakt, es ging weiter mit den Kürbiskernen. Die erste grosse Ernte konnten die Jucker-Brüder für mehr als Fr. 10.00 pro kg der Migros verkaufen. Zum Vergleich: Heute liegt der Weltmarktpreis bei Fr. 1.50 pro Kilogramm.

«Als der Herbst durch war, konnten wir feststellen, dass (ausser der Melonenernte) erstaunlicherweise kein Projekt so richtig schiefgelaufen war.»

Martin Jucker über die Bilanz 2000

Sonst gäbe es diese Firma heute wohl nicht mehr. Aber es hatte auch keines so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt hatten. In Ludwigsburg hatten wir zwar mehr Besucher als erwartet, aber auch höhere Kosten, war zu roten Zahlen führte», bilanziert Martin Jucker.

Im Schweizer Detailhandel hatte man etwas weniger Kürbisse verkauft, als erhofft. Rund 5 von 50 HA mussten gemulcht werden. Dafür, dass wir alles nach Bauchgefühl geplant hatten, war es aber gar nicht so schlecht.

Mit rund 10’000 verkauften Kochbüchern haben die Jucker-Brüder wahrscheinlich einen Rekord aufgestellt. In der Euphorie – und wegen der guten Stückpreise – hatten sie jedoch 100'000 Exemplare drucken lassen. Es lagen also noch 90'000 Kochbücher rum, die nicht verkauft worden waren. Ähnlich war die Lage mit den Kürbisschnitzsets. Die finanziellen Ressourcen lagen in Form von Büchern und Schnitzsets im vollen Lager. Liquide waren sie aber nicht mehr.

«Die geplanten Umsätze waren zwar erreicht worden, aber die Kosten waren teilweise mehr als doppelt so hoch, wie erwartet. Das Fazit: Auch nach dieser Saison lag der Kontostand beinahe bei Null.»

Das ernüchternde Fazit

Wer gibt jetzt noch Geld?

Die ehemals grosszügige Bank wurde unsicher. Zu allem Überfluss platzte auch noch die Dotcom Blase. «Für uns war klar: Wir müssen neues Kapital haben, um die nächste Saison vorfinanzieren zu können. Und für die Bank war klar: Zuerst muss der alte Kredit zurückbezahlt sein, bevor man über neues Geld reden kann. Schwierig…»

Wie der Jucker’sche Start-Up-Krimi weitergeht, lest ihr im nächsten Teil….

 

Bisherige Teile der Jucker-Saga:

Teil 1 – frühes Familiendrama
Teil 2 – Hilfe von aussen zu einem hohen Preis
Teil 3 – das schwierige Leben zwischen den Weltkriegen
Teil 4 – blühendes Familienleben
Teil 5 – Turbulente Jahre und ein volles Haus
Teil 6 – der Jucker hat schon immer gesponnen
Teil 7 – Abschied von Hermann
Teil 8 – Umbau und die junge Elsbeth
Teil 9 – Ueli übernimmt
Teil 10 – Die Lehrjahre von Beat und Martin Jucker
Teil 11 – Die erste Kürbisausstellung "aus Versehen" (1997)
Teil 12 - Die erste "richtige Kürbisausstellung (1998)
Teil 13 - Sensationen nahe des Irrsinns (1999)
Teil 14 - Die Gründung der Jucker Farmart AG (1999/2000)

Valérie ist Vollblutautorin des FarmTickers und immer zur Stelle wenn's "brennt". Sie mag schöne Texte und offene Worte. (Zum Portrait).

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