Die nachhaltigste Ernährung
Die Diskussionen gehen hin und her. Meine Grosseltern, die noch den Schrecken und den Hunger des 2. Weltkriegs präsent hatten, fanden, es könne gar nicht genügend fettig und eiweisshaltig sein. Fleisch. Am besten täglich.
Neuerdings hat das Pendel umgeschlagen. Auch wenn sich ein Hauptteil der Bevölkerung omnivor ernährt: Der Ruf nach weniger tierischen Produkte ist in der Öffentlichkeit sehr präsent. Das Klima, die Umwelt, das Tierwohl oder die Gesundheit halten wahlweise als Begründung her.
2021 konsumierte die Schweizer Bevölkerung pro Kopf und Jahr rund 51 kg Fleisch und 195 Eier, 23 kg Käse, 8,3 kg Frischkäse und Quark und 47 kg Milch (Agrarbericht Milchprodukte , Agrarbericht Fleisch und Eier ). Das sind auf die Woche gerechnet pro Person:
- Fast 1 kg Fleisch
- 3-4 Eier
- 160 Gramm Frischkäse oder Quark
- Fast 1 Liter Milch
Bei manchen ists mehr, bei anderen weniger oder gar nichts. Doch ist das nachhaltig? Angesichts der steigenden Bevölkerungszahlen macht sich die Wissenschaft schon länger Gedanken dazu, wie man essen müsste, um möglichst viele Menschen ernähren zu können, und zwar so, dass die Ressourcen längerfristig erhalten bleiben.
Doch wie man das definiert, das sieht jede Studie etwas anders.
Die weltweit optimale Diät
Eine Studie in der Fachzeitschrift ELEMENTA «Science of the Anthropocene» hat kürzlich für Aufsehen gesorgt. Sie untersuchte 10 verschiedene Ernährungsstile hinsichtlich ihrer Fähigkeit, möglichst viele Leute satt zu kriegen. Der Richtwert war die jeweilige Landnutzung pro Person. Das Rennen machte - gemäss dieser Studie - eine Ernährung ohne Fleisch und ohne Eier, aber mit Milchprodukten. Diese Form der Ernährung könne – so die Studie – das 2.6-fache der US-Bevölkerung (Stand 2010) satt machen.
«Aus Sicht der regenerativen Landwirtschaft macht es keinen Sinn, komplett auf tierische Produkte zu verzichten.»
Hier wird jede*r Landwirt*in gleich erstmal Luft holen. Denn: Milchprodukte gibt es nicht, ohne dass Fleisch anfällt (Farmticker vom 10.09.2019 - Kreislauf von Fleisch und Milch). Hier müsste sicher nochmal genauer hingeschaut werden, was die Autoren im Fazit auch gleich einräumen.
Ein zweiter blinder Fleck der Studie: Sie geht von bestehenden Anbauformen der USA aus. Im Gros bedeutet das: Anbau oder Tierhaltung in Monokultur. Das heisst: Auf einer Fläche werden entweder Tiere gehalten oder Getreide (oder anderes) angebaut.
Doch hier tut sich was. Im regenerativen Anbau wird Tierhaltung mit Obst- oder Ackerbau gemischt. Zwischen unseren Baumreihen bewegen sich Hühner und Schweine. Die halten wir zwar nicht primär wegen den Eiern oder ihrem Fleisch, aber doch wirft eine solche Haltung etwas an tierischen Produkten ab. Zugegeben, diese Form der Landwirtschaft steckt noch in den Kinderschuhen und wir sind selbst dabei, herauszufinden, wie sie längerfristig funktionieren kann.
Trotzdem sollten solche Konzepte in Zukunftsstudien mitberücksichtigt werden. In der regenerativen Landwirtschaft ist die Tierhaltung integraler Bestandteil des Kreislaufs. Deshalb macht es aus unserer Sicht keinen Sinn, komplett auf Fleisch und Eier zu verzichten.
«Dass der Anteil von tierischen Produkten an der Ernährung aber massiv kleiner sein müsste, um nachhaltig zu sein, ist unbestritten.»
Vegan ist es nicht
Ein weiterer Schluss, zu dem die Studie kommt: Die vegane Ernährung wäre hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit sicher besser als die bestehende Durchschnittsdiät der westlichen Bevölkerung. ABER: Wenn das Kriterium die optimale Landnutzung ist, schneidet sie «nur» im Mittelfeld ab. Der Grund: Viele landwirtschaftliche Nutzflächen eignen sich gar nicht für den Anbau von Getreide oder Hülsenfrüchten. Dabei spielt die Neigung und die Lage eine bedeutende Rolle, insbesondere dann, wenn man möglichst ohne Pflanzenschutzmassnahmen auskommen möchte. Zum Beispiel muss es genügend lange genügend warm sein, es darf nicht zu nass sein und die Flächen müssen bearbeitet werden können. Oder die Bodensubstanz muss genügend Nährstoffe enthalten.
Die Schweiz ist ein ausgezeichnetes Beispiel für dieses Thema. Wir haben sehr viele, sehr steile, hügelige Flächen, die sich nicht für den Anbau von Getreide eignen. Dorthin schickt man dann eben das Vieh, um die Flächen im Tal während des Sommers frei zu haben für andere Kulturen. Eigentlich eine sehr nachhaltige Idee (Warum gehen die Kühe auf die Alp?).
Wir stellen uns also die Frage:
«Wenn es um die Schweiz ginge, was wäre die nachhaltigste Form der Ernährung?»
Kriegt die Schweiz ihre Bewohner satt?
Wenn es darum ginge, die Schweiz innerhalb der eigenen Grenzen zu ernähren – was wäre dann die optimale Ernährung? Denn die Schweiz hat eine riesige Herausforderung: Wir sind erstens ein sehr kleines Land und ein wesentlicher Teil unseres Landes besteht aus landwirtschaftlich unnutzbarer Landmasse – den Alpen.
Die Schweiz ist 41 285 km2 gross. Rund gut ¼ davon ist unproduktive Fläche (Seen, Gletscher, Fels, Geröll). Knapp 1/3 sind so genannt «bestockte Flächen» (Wald, Gehölz, Gebüsch). Landwirtschaftlich genutzt werden rund 36 %, Siedlungsflächen machen 7,5 % aus (Zahlen stammen aus 2004, Quelle: Bundesamt für Raumentwicklung)
36% von 41'285 km2 wären 14'862.6 km2 landwirtschaftliche Nutzfläche. Macht pro Einwohner (bei 10 Millionen) pro Person 1486 m2. Das gäbe pro Person also noch einen Blätz von rund 14 x 100 Metern, um Nahrung zu produzieren. Nicht viel. Ob das für ein Jahr reicht?
Weniger ist vielleicht doch mehr
Im Frühling 2023 kam eine umfangreiche Schweizer Studie des SDSN Switzerland raus. Eine Gruppe von Forschern verschiedener Disziplinen erarbeitete einen umfangreichen Leitfaden für eine möglichst nachhaltige Ernährung in der Schweiz.
Deren Empfehlung sieht etwas anders aus als die Amerikanische. Gemäss dieser Empfehlung sollten wir – für eine möglichst nachhaltige Form der Ernährung:
- Fast doppelt so viel Getreide essen (230 statt 134 gr)
- Wesentlich mehr Gemüse (250 statt 161 gr)
- Etwas mehr Obst (240 statt 215 gr)
- Halb so viel Fleisch (50 statt 101 gr)
- Ca. halb so viele Eier (15 statt 27 gr)
- Viel mehr Hülsenfrüchte (35 statt beinahe wenige gr)
- Doppelt so viele Nüsse (30 statt 15 gr)
- Ca. halb so viel Milch (350 statt 607 gr)
- 3x weniger Zucker (30 statt 95 gr)
Keine komplett vegetarische oder vegane Ernährung also, aber doch wesentlich weniger tierische Produkte. Und – s Mami hät’s doch au immer gseit: Mehr Gemüse und Hülsenfrüchte.
Ganz egal, welche Studie man herbeizieht, eine Stossrichtung schält sich klar hinaus: Weniger Produkte tierischen Ursprungs. Weil sie doch mehr Platz pro Kilokalorie verbraucht und einen grösseren Impact auf die Umwelt ausübt. Ganz ohne müsste es dennoch nicht sein. Aber: Tierhaltung liesse sich durchaus noch nachhaltiger gestalten. Das würde allerdings seinen Preis kosten.
«Vielleicht sieht die Zukunft so aus, dass wir Fleisch und Milchprodukte wieder als seltene Delikatesse, etwas Spezielles konsumieren und auch wertschätzen.»
Entsprechend würde man auch wieder mehr dafür bezahlen. Vielleicht wäre dann der Druck auf die produzierenden Betriebe weniger.
Dem stimmt auch Sven Studer, unser landwirtschaftlicher Berater, selber Landwirt zu: «Nur: Wenn die Fleischpreise wieder steigen, wird vermutlich wiederum mehr Fleisch produziert, da es ein sehr lukratives Geschäft wird. Und: Wenn wir die Schweiz wirklich autark ernähren wollen, geht das nur, wenn bodenunabhängige Nahrungsmittelproduktion ein Thema wird.»
Die Schweiz hat also schlicht nicht genug Boden, um die ganze Bevölkerung zu ernähren – auch wenn wir unsere Ernährung punkto Nachhaltigkeit optimieren.
Wie das aussähe, das wäre dann aber wieder ein neuer Artikel.
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