Zu Jucker Farm
Biodiversitaetsinitiative
von Valérie

Biodiversitätsinitiative – Ja oder Nein?

Die Natur ist unter Druck, wir sind immer mehr Menschen, die immer mehr Lebensmittel brauchen und immer mehr Raum einnehmen. Automatisch verdrängen wir Tiere und Kleinstlebewesen aus ihren Lebensräumen.

Es muss also was getan werden.

2020 wurde eine Volksinitiative eingereicht: «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft» - die so genannte Biodiversitätsinitiative.

Sie fordert drei Dinge:

  • Einen stärkeren Schutz der Biodiversität in der Verfassung verankern
  • Mehr Biodiversitätsflächen (Erhöhung von 3.5-7% auf ca. 30%)
  • Mehr finanzielle Mittel zur Förderung der Biodiversität.

Zum Initiativtext geht's hier lang.

Wie viele finanzielle Mittel zusätzlich zur Verfügung gestellt werden sollen, definiert die Initiative nicht.

Im Parlament wurde die Initiative sowie ein indirekter Gegenvorschlag diskutiert, der vom Bundesrat ausgearbeitet und vom Nationalrat unterstützt wurde. Der Ständerat konnte für diesen indirekten Gegenvorschlag aber nicht begeistert werden und so kommt die Initiative im Herbst 2024 vors Volk zur Abstimmung.

Der Arsch der Bauern geht deswegen auf Grundeis.

Warum sind die Bauern wegen der Biodiversitätsinitiative nervös?

Kurz gesagt: Weil die die Initiativen weitere Einschränkungen mit sich bringen würde. Die Herausforderung, den Betrieb über Wasser zu halten, wird noch grösser, als er ohnehin schon ist.

Dabei ist es nicht so, dass die Erhaltung der Biodiversität den Bäuerinnen und Bauern egal wäre. Im Gegenteil: Wie man auf Agrarbericht 2022 lesen kann, sind die Biodiversitätsflächen in den letzten Jahren stetig gestiegen und liegen mittlerweile bei durchschnittlich 19% der Betriebsfläche.

Auch ist es nicht so, dass in diese Richtung nicht bereits agrarpolitische Massnahmen getroffen würden. Teil der Direktzahlungen oder «Subventionen» - wie der Begriff im Volksmund verwendet wird, sind unter anderem auch die so genannten «Biodiversitätsbeiträge». Diese betrugen im Jahr 2021 435 Millionen Franken und machten 16% der gesamten Direktzahlungen aus. Gegenüber dem Vorjahr waren sie um 2,1% gestiegen. Diese Unterstützung kriegen Bauern für bestimmte Anstrengungen in Bezug auf Biodiversität. Z.B. für den Erhalt extensiv genutzter Wiesen oder Weiden, für Erstellung oder Erhalt von Hecken, Feld- oder Ufergehölzen, für Blühstreifen und Säume auf Ackerflächen, für Uferwiesen entlang von Fliessgewässern, für Hochstamm- oder Nussbäume etc. (Das sind nur einige davon, die gesamte Auflistung findet ihr hier: agrarbericht.ch).

Diese Massnahmen sind freiwillig, werden aber durch finanzielle Anreize bereits jetzt gefördert.

Mindestanteil an Biodiversitätsförderflächen ist bereits jetzt PFLICHT

Es ist aber nicht so, dass Bauern, die keine speziellen Biodiversitätsbeiträge erhalten, gar nichts für die Biodiversität tun. Etwas, was JEDER Bauer oder jede Bäuerin tun muss, um ÜBERHAUPT Direktzahlungen (bzw. Subventionen) zu erhalten: Der Mindestanteil an Biodiversitätsförderflächen am Gesamtbetrieb MUSS mindestens 3,5% der belegten Anbaufläche bei Spezialkulturen (Beeren, Wein, Obst, Gemüse) oder 7% der belegten Anbaufläche bei anderen Nutzflächen (Tierhaltung, Ackerfrüchte wie Getreide, Kartoffeln, Ölsaaten etc.). Zudem sind so genannte «Pufferstreifen» bereits jetzt vorgeschrieben. Deren Umsetzung wird bereits heute kontrolliert.

Warum reicht das den Initiant*innen nicht?

Auf der Website der Initiative liest man: «Im Vergleich zu anderen Industrieländern weist die Schweiz die höchste Anzahl bedrohter Arten auf und stellt die geringste Fläche unter Schutz.» Gemäss der Wissenschaft reichen die 3,5 – 7 % aber bei weitem nicht aus. Stattdessen soll 1/3 der gesamten Anbaufläche für den Erhalt der Biodiversität zur Verfügung gestellt werden. Wobei nicht die gesamte Fläche als absolutes Schutzgebiet ausgewiesen werden soll: «Ein Teil dieser Fläche muss als Schutzgebiet ausgeschieden werden. Die anderen Flächen können weiterhin bewirtschaftet werden, vorausgesetzt sie fördern die Biodiversität oder schaden ihr zumindest nicht. Gleichzeitig muss die Fläche der Schutzgebiete deutlich wachsen. In der Schweiz stehen gerade einmal 10.75 % der Landesfläche unter Schutz. Damit ist die Schweiz europäisches Schlusslicht.» (siehe Biodiversitätskrise auf Biodiversitätsinitiative)

Insgesamt müssten gemäss dieser Rechnung weitere 880'000 Hektaren als Schutzgebiet ausgewiesen werden – wie es in einer Medieninformation des Schweizer Bauernverbands heisst.

Warum wären zusätzliche Biodiversitätsflächen so schwierig umsetzbar?

Die Herausforderung in der Schweiz dürfte sein: Bei uns wird der Platz besonders knapp. Wir haben schlicht nicht gleich viele Flächen übrig, die wir als Brachland definieren könnten (siehe Artikel "die nachhaltigste Ernährung"). Bzw. wir könnten schon. Aber das ginge auf Kosten der Ernährungssicherheit. Die Folge davon: Wir müssten noch mehr Nahrung importieren – und für importierte Produkte gelten bekanntlich (leider) viel weniger strikte Produktionsvorschriften.

«Man schiebt das Problem der Nachhaltigkeit einfach ins Ausland ab.»

Viel schlimmer noch: Man gibt die Kontrolle darüber ab, wie nachhaltig effektiv produziert wird und tut so, als wären die Umweltprobleme im Ausland keine.

Das Mindset einer fragmentierten Produktionslandschaft wäre aus unserer Sicht als regenerativ arbeitender Betrieb zudem nicht zielführend im Sinne einer zukunftsgerichteten Landwirtschaft. Denn: Die Förderflächen, wie sie die Initiative vorsieht, werden separat ausgemessen. In der Vorstellung der Initiant*innen hätte man da einen Blätz Obstkulturen, dort einen Biodiversitätsstreifen. Eine Mischform, wie wir sie künftig beabsichtigen, mit möglichst viel Pflanzenvielfalt IN den Kulturen selbst – ist gemäss dieser Vorgabe nur teilweise vorgesehen. Gemischte, biodiverse Produktionsflächen wären also nicht als Biodiversitätsfläche anerkannt, obwohl diese Form noch VIEL MEHR und auf insgesamt VIEL GRÖSSERER Fläche Lebensraum für Kleinstlebewesen zur Verfügung stellen würde.

Und: Selbst wenn die Produktionsflächen bei Mischformen nicht komplett aufgegeben werden müssen: Es ist erwiesen, dass der Ertrag auf extensiven Flächen nicht gleich gross ist, wie auf konventionell bewirtschafteten Flächen. Die Einnahmen, die ein Landwirt auf seinem Land generieren kann, würden massiv gekürzt. Und dabei geht es nicht einfach um Gewinnmaximierung. Mit der Landwirtschaft wird man nicht wirklich reich. Im Gegenteil: Der Stundenlohn eines Landwirts beträgt je nach Quelle zwischen 12 und 21 Franken. Das ist deutlich tiefer als der Mindestlohn, den die Stadt Zürich letztes Jahr definiert hat (23.-). Für viele Betriebe geht es ums nackte Überleben und hat nichts mit Profitgier, geschweige denn Faulheit zu tun.

Unsere Sicht als regenerativ arbeitender Betrieb

Unserer Meinung nach gäbe es einen gesunden Mittelweg. Nämlich den der regenerativen Landwirtschaft. Doch bei einer Annahme der Initiative hätte auch diese Lösung keinen Platz mehr.

Martin Jucker hat dazu eine sehr klare Meinung:

«Die Schweiz ist klein, es ist eng und es wird um Platz gestritten. Egal für was. Die Biodiversitätsinitiative ist aus meiner Sicht grundlegend falsch. Sie geht davon aus, dass es darum geht, Nahrungsmittelproduktion gegen Biodiversität auszuspielen. Entweder - oder. Dabei ginge es auch anders:

Die regenerative Landwirtschaft verfolgt das Ziel, die zwei Themen zu vereinen. Und zwar richtig, nicht nur fürs Auge des Laien.

Ich finde es verstörend, einen veralteten Ansatz der Nachhaltigkeit in die Verfassung schreiben zu wollen. Ebenso verstörend ist es auf der anderen Seite, dass der Bauernverband nicht aktiver auf eine regenerative Form der Landwirtschaft hinarbeitet. Insgesamt wird das Thema von beiden Seiten in der Politik rückständig bearbeitet.

Der regenerative Ansatz hätte Antworten auf so viele dieser Herausforderungen: CO2-Speicherung, Ertragserhöhung, Reduktion von Pestizid- und Kunstdüngereinsatz, Resilienz gegenüber Wetterextremen, Reduktion von Methan- und Ammoniakemissionen.

Aber mit ideologischen Scheuklappen auf beiden Seiten kommen wir nicht weiter. Es wäre an der Zeit, endlich aufzuwachen. Die Initiative bietet meiner Meinung nach nur eine Scheinlösung. Keine ehrliche.»

Valérie ist Vollblutautorin des FarmTickers und immer zur Stelle wenn's "brennt". Sie mag schöne Texte und offene Worte. (Zum Portrait).

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