Zu Jucker Farm
Gänse auf Weide
von Valérie

Ja oder Nein? Gedanken zur Massentierhaltungsinitiative?

Bald ist es wieder soweit und wir stimmen über eine weitere Agrarinitiative ab. Eine, mit dem langen Namen: Massentierhaltungsinitiative. Hhhuuiii.

Da das ein Agrarthema ist, geben wir wieder mal unseren Senf dazu und erläutern inwiefern die Initiative uns betreffen würde – oder eben nicht.

Was will die Massentierhaltungsinitiative?

«Die in der Verfassung verankerte Würde des Tieres soll endlich auch in der landwirtschaftlichen Tierhaltung respektiert werden» und «die Initiative gegen Massentierhaltung fordert das Ende der industriellen Tierproduktion in der Schweiz», heisst es auf der Kampagnenwebsite (massentierhaltung.ch).

Und folgendermassen soll das geschehen:

  • Mehr Platz pro Tier
  • Einstreu für alle Tiere
  • Möglichkeiten zum Spielen
  • Artgerechte Fütterung
  • Täglicher Weidezugang
  • Langsamer wachsende Rassen
  • Kurze Transportwege
  • Bessere Kontrolle des Betäubungsvorgangs
  • Schonende Schlachtmethoden
  • Kleinere Gruppen
  • Weniger Tiere pro Hektar Weidefläche
  • Kein Import von Tieren und Tierprodukten, die nach in der Schweiz verbotenen Produktionsmethoden erzeugt wurden

Klingt auf den ersten Blick alles total vernünftig. Könnte da denn jemand ernsthaft was dagegen haben? Etwas schwammig formuliert ist es allerdings: Was ist denn z.B. ein «kurzer Transportweg», was eine «schonende Schlachtmethode» und was gilt noch als «kleinere Gruppe»? Die genaue Umsetzung müsste noch definiert werden. Gemäss den Initianten soll sie sich an der Haltung des Bio-Standards orientieren. Was würde eine Annahme für uns als Betrieb bedeuten?

«Seit vielen Jahren werden die Vorschriften für Schweizer BäuerInnen immer strenger und strenger, währenddem Produkte importiert werden dürfen, welche nach deutlich tieferen Standards produziert wurden.»

Evelyn Scheidegger - Cowpassion

Konsequenzen für Jucker Farm

Würde die Initiative angenommen, würde sich bei uns nicht gross was ändern. Unser Betrieb ist hauptsächlich auf die Produktion von Obst, Gemüsen und Getreide ausgelegt. Die wenigen Tiere (9 Schafe, ca. 30 Hühner, 3 Schweinchen) fungieren als «Mitarbeiter» in der Produktion und sind nicht ihres Fleisches wegen bei uns. Einzige Ausnahme: Die Weidegänse. Dort haben wir aber ohnehin bereits Standards, die den Forderungen der Initiative entsprechen würden. Die Herdengrösse ist überschaubar und die Gänse verbringen – sobald sie gross genug sind - jeden Tag draussen auf der Wiese. Wir haben aber auch die Möglichkeit, diese an Leute zu verkaufen, die entsprechend höheren Preis dafür bezahlen. Nicht jeder Landwirtschaftsbetrieb ist so aufgestellt. Auch zeigen wir ganz transparent wie die Tiere leben – wir haben sie sogar bis zum Schlachthof begleitet.

Argumente der Gegner

Die Gegnerseite der Initiative Es gibt viele Argumente gegen die Massentierhaltungsinitiative (massentierhaltungsinitiative-nein.ch) befürchtet, die Schweizerische Versorgung mit tierischen Produkten würde zusammenbrechen, weil sie schlicht nicht mehr finanzierbar wäre und alle ihr Fleisch im Ausland einkaufen gehen würden. Ein wesentlicher Teil der Leute würde bereits heute aus Kostengründen ihr Fleisch im Ausland beziehen. Und wenn hier lokal eingekauft wird, dann möglichst günstig und sicher nicht Bio – zumindest von der absoluten Mehrheit nicht.

Zudem habe die Schweiz – im Vergleich zum Ausland – bereits heute hohe Standards in der Tierhaltung, die die hiesigen Tierprodukte ohnehin schon teurer machen. Deshalb auch der Einkaufstourismus. Die Befürchtung ist also durchaus berechtigt.

Weideganshaltung auf dem Spargelhof
Weideganshaltung auf dem Spargelhof

Bauern, die dafür sind

Es gibt aus dem Bauernlager aber auch andere Stimmen. Evelyn Scheidegger hat vor wenigen Jahren die Kooperative Cowpassion ins Leben gerufen, die Milchprodukte aus Mutter-Kalb-Haltung herstellt und vertreibt. Sie sagt: «Ich hoffe, dass das Stimmvolk die Initiative annehmen wird, denn mit der Importklausel wird eine längst überfällige Massnahme ergriffen. Seit vielen Jahren werden die Vorschriften für Schweizer BäuerInnen immer strenger und strenger, währenddem Produkte importiert werden dürfen, welche nach deutlich tieferen Standards produziert wurden. Von daher sehe ich darin einen grossen Vorteil für Schweizer Produkte bei Annahme der Initiative».

Für sie und ihre Bauern der Cowpassion-Kooperative würde eine Annahme ohnehin nichts verändern: «Das Cowpassion-Produktionsreglement beinhaltet auch das Einhalten der Bio-Verordnung - von daher bringt die Annahme der Initiative für Cowpassion-Bäuer*innen keine Änderung», sagt sie.

Auch der Verein Landwirtschaft mit Zukunft spricht sich explizit für eine Annahme der Massentierhaltungsinitiative aus: «Es ist uns wichtig zu betonen, dass diese Initiativen nicht gegen die Schweizer Bäuer*innen ist, sondern gerade einmal 5% der Betriebe in der Schweiz betrifft. Diese Betriebe gleichen jedoch eher Tierfabriken und haben nicht mehr viel mit Landwirtschaft zu tun.»

Einer Mehrheit der Bauernschaft ist der «Zwang zum Bio» der Initiative jedoch ein Dorn im Auge. Sie statieren: Wer Bio möchte, könne bereits jetzt schon wählen, tue dies aber in vielen Fällen nicht. Das sollten wir uns mal genauer anschauen.

«Die fehlende Verfügbarkeit ist das Haupthindernis, Bio zu konsumieren»

Einkaufen = Abstimmen?

«Es kauft ja nur ein Bruchteil der Bevölkerung tatsächlich Bio ein. Es ist inkonsequent, dass an der Urne so viele Leute für eine solche Initiative stimmen, dann aber nicht entsprechend einkaufen», heisst es von Gegnerseite.

Grundsätzlich stimmt das natürlich. Aber so einfach ist es eben nicht.

1.  Verfügbarkeit von Bio-Produkten

Die Verfügbarkeit von Bio-Produkten ist tatsächlich eingeschränkt: Leute, die grundsätzlich tierwohlaffin sind, brennen im Grossverteiler auch mal an. Wenn du gerne 4 Pouletbrüstli kaufen würdest, es gibt aber nur noch 1 in Bioqualität, dann kaufst du halt noch 3 «konventionelle» dazu.

Dann gibt es auch nie alle Milchprodukte in Bioqualität. Schon oft stand ich vor dem Regal und habe nach einem Bio-Kräuterfrischkäse gesucht, den es aber nicht gab. Dann greift man halt mal eben auch mal zu einem konventionelles Produkt. Wer hat schon Zeit, dann alle anderen Läden abzuklappern, wo es den in Bioqualität gibt?

Die fehlende Verfügbarkeit ist entsprechend auch das Haupthindernis, Bio zu konsumieren, wie es das BLW auf seiner Website publiziert. Erst auf Platz 2 kommt der höhere Preis, auf Platz 3 die Verpackung.

Der Beschaffungsaufwand ist recht hoch, wenn man konsequent Bio-Tierprodukte kaufen möchte, je nachdem, wo man wohnt. Nicht jede*r hat einen Bio- oder Demeter Bauernhof grad um die Ecke. Und nicht jede*r hat die Zeit, sich für jedes einzelne Produkt den richtigen Produzenten herauszusuchen.

2.  Indirekter Einkauf: Gastronomie und Industrie

Genauso verhält es sich mit dem Besuch im Restaurant. Als Restaurantgast hat man kaum die Möglichkeit, seinen Restaurantbesuch nach einer konsequenten Bio-Menukarte auszurichten. Und selbst wenn: Man würde immer in den gleichen 2-3 Restaurants landen. Auf dem Land kann man es sowieso vergessen, überhaupt die Wahl zu haben.

Ein Grossteil der Gastronomiebetriebe kauft konventionelles Fleisch ein. Aus Kostengründen. Als Gast hat man begrenzt die Wahl, hier Einfluss zu nehmen. Und hier werden grosse Mengen an Fleisch und Tierprodukten umgesetzt.

3.  Abstimmende sind nur ein Teil der konsumierenden Gesamtbevölkerung

Ganz wichtiger Punkt: In der Schweiz sind nicht ganz 2/3 der Gesamtbevölkerung überhaupt stimmberechtigt (rund 5.5 Millionen). Von diesen 5.5 Millionen Stimmberechtigten beteiligt sich meist nur etwa die Hälfte an Abstimmungen. Das wären dann 2.75 Millionen. Bei knappen Abstimmungen sind es von diesen 2.75 Millionen wiederum die Hälfte, die sich auf die eine oder andere Seite schlagen. Also ca. 1.4 Millionen. Das entspricht nur 16 % der Bevölkerung. So viele müssten also auch konsequent Bio einkaufen.

Gemäss admin.ch liegt der Marktanteil von Bioprodukten in der Schweiz bei rund 11 % Bio. Das ist gar nicht so weit von den 16 % entfernt, die entsprechend abstimmen. Der Vorwurf, die Leute würden nicht konsequent handeln greift also ins Leere.

Wenn man bedenkt, dass die ab und zu mal in einem Restaurant essen, in welchem sie nicht die Wahl haben oder mal bei Freunden eingeladen sind, die nicht konsequent Bio kaufen passt das schon. Beziehungsweise: Die restlichen 5 % essen GAR keine Tierprodukte, womit wir schon zum nächsten Punkt kommen:

4.  Tierwohlaffine konsumieren generell weniger Fleisch

Nicht zu vernachlässigen ist hier: 2-3 % der Schweizer Bevölkerung lebt vegan und konsumiert GAR keine Tierprodukte. Sie nehmen mit ihrer Kaufentscheidung also auch nicht Einfluss darauf, wie Tierhaltung von statten geht. Wenn es nach ihnen ginge, dürfte es wohl gar keine gewerbsmässige Tierhaltung geben. Es ist aber ihr gutes Recht, eine Meinung dazu zu haben darüber, wie Tiere gehalten werden sollen. Weitere 2-3 % leben vegetarisch, ein noch grösserer Anteil der Bevölkerung versucht, den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren. Hier bildet die Nachfrage auf dem Markt also die Meinung der Stimmbevölkerung tatsächlich verzerrt ab.

Und dann gibt es noch die, die vielleicht gerne Biofleisch kaufen würden, es aber finanziell einfach nicht drin liegt. Die kaufen auch nicht so, wie sie abstimmen.

5.  Konsumprimat: Deshalb braucht es gesetzliche Vorgaben

Und zu guter Letzt: Ja, wir sind alles Menschen, die nicht immer zu 100% konsequent handeln. Der Mensch ist schlussendlich faul und geizig (Artikel Tiefpreisgarantie). Und manchmal ist es halt einfach so: Wenn man also einen Status quo verändern möchte, geht das oft nur übers Portemonnaie oder über gesetzliche Vorgaben.

Was wollt ihr?

Schlussendlich geht es doch um eine Grundsatzfrage: Wo wollen wir als Gesellschaft hin und wie wollen wir die Tierhaltung in Zukunft gestalten. Ist sie heute schon gut genug? Kühe, Rinder, Schafe und Ziegen treffen wir tatsächlich oft auf Weiden an. Manchmal vielleicht noch ein paar Hühner. Aber wo sind die Schweine? Und die restlichen Hühner? Geht es denen wirklich so gut, wie wir in der Schweiz immer gerne behaupten? Sichtbar sind diese Tiere ja offensichtlich nicht. Aus Absicht? Sind unsere Standards wirklich gut genug?

Und – bevor man jetzt wieder den schwarzen Peter den Bauern zuschiebt - Wenn sie nicht gut genug sind und man was ändern sollte, ist die Bevölkerung wirklich bereit, mehr für tierische Produkte zu bezahlen? Diesbezüglich haperts unserer Meinung nach – und zwar gewaltig. Wir haben uns jahrzehntelang daran gewöhnt, täglich günstiges Fleisch zu konsumieren.

Sind wir ehrlich: Die Mehrheit der Leute möchte weiterhin einfach seinen Fetzen Fleisch auf dem Teller. Wie es den Tieren ging, ist der Mehrheit der Leute weitgehend egal – oder sie sind froh, wenn sie es gar nicht so genau wissen. Wer denkt beim Schöpfen in der Kantine schon daran, wo das Schweinsragout genau herkam…

 

Nun ist die Diskussion offen. Weisst du schon, wie du bei der Massentierhaltungsinitiative abstimmst? Und was ist für dich das entscheidende Argument? Oder bist du noch unentschlossen?

Valérie ist Vollblutautorin des FarmTickers und immer zur Stelle wenn's "brennt". Sie mag schöne Texte und offene Worte. (Zum Portrait).

Beiträge von Valérie
6 Kommentare zu “Ja oder Nein? Gedanken zur Massentierhaltungsinitiative?”
    Jeannine

    Es ist ganz klar eine Sackgasse immer noch mehr und noch billiger zu produzieren. Mag sein, dass der ungebildete Konsument dies noch nicht einsieht. Deshalb ist es höchste Zeit, dass der Produzent und das sind die Bauern, selbstbewusst hinstehen und aufklären.

    JA, Schweizer Bauern produzieren mit Zukunft und setzen auf Qualität!

    ... für ein besseres Leben Aller.

    Antworten
    Valérie Sauter

    Liebe Jeannine, vielen Dank für deinen Kommentar. Das Stimmvolk hat anders entschieden. Hoffen wir, dass wir als Gesellschaft trotzdem die Kurve kriegen.

    Antworten
    Thomas Bolliger

    Liebe Valérie, ich gratuliere dir zu deinem guten Text. Schön ausgewogen und flüssig zu lesen. Es macht Freude durch eure Website zu stöbern. Weiter so! Und natürlich habe ich JA gestimmt. Bin gespannt wie‘s ausgeht!

    Antworten
    Valérie Sauter

    Lieber Thomas, vielen lieben Dank für den netten Kommentar. Es freut mich, dass du uns gerne liest ;-).

    Antworten
    Tanya

    Super Beitrag und wirklich gut auf den Punkt gebracht, vor allem dein Schlussplädoyer ;)
    Danke, ich bin für ein ja. Aber ich glaube der billige Fetzen Fleisch gewinnt leider :(

    Antworten
    Valérie Sauter

    Liebe Tanya, vielen Dank für deine Rückmeldung. Ja, schauen wir mal, wie sich das so entwickelt in Zukunft ;-)

    Antworten

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